17.3.07

Gedanken zum Feminismus

Frauen prägen heute das öffentliche Leben weitaus sichtbarer als noch vor einigen Jahrzehnten. Sie sprechen mit in Politik, Wirtschaft und Kultur, und - sofern sie sich qualifiziert äußern - hört man im allgemeinen auch ganz selbstverständlich auf ihre Stimme. Man traut ihnen wichtige Entscheidungen zu und diagnostiziert (weitgehend) nicht mehr geringen Verstand und Abhängigkeit als Mängel ihrer Natur.

Das war tatsächlich nicht immer so. Inzwischen gibt es eine schier uferlose Literatur, die aufzeigt, wie Frauen zu allen Zeiten der Geschichte mißachtet worden sind. Es ist üblich geworden, alle Arten von Ungerechtigkeiten zu beleuchten, die Frauen wegen ihres Geschlechts je erlitten haben. Dies mag in einem gewissen Bedürfnis nach Wiedergutmachung gerechtfertigt sein. Der Wahrheit halber aber darf nicht vergessen werden, daß man sich bei dieser Geschichtsschreibung nur mit einem eng begrenzten Ausschnitt der Wirklichkeit befaßt. Das tatsächliche Leben ist weiter, reicher und bunter. Frauen sind nicht nur mißhandelt, sondern auch geehrt, sie sind nicht nur verachtet, sondern auch geliebt worden. Umgekehrt ist jedem klar, daß auch ein Mann von einer Frau verletzt oder gequält werden kann, und daß auch dies immer wieder geschehen ist und geschieht.

Viele Spannungen zwischen Männern und Frauen sind sicher persönlicher Art. Doch darüber hinaus ist nicht zu leugnen, daß sich eine gewisse Minderbewertung des weiblichen Geschlechts weltweit auch in gewissen gesellschaftlichen Konventionen und Gesetzen zeigt. Die vor einigen Jahrzehnten einsetzende feministische Empörung (übrigens eine typische Erscheinung der westlichen Welt) kann daher nicht einfach nur belächelt oder verurteilt werden. Es ist besser, sich zu fragen, wie es überhaupt möglich war, daß sie zustande kam. Das erste Problem, mit dem man sich bei einer Betrachtung der Frauenfrage fairerweise auseinandersetzen muß, lautet daher: Wie konnte es dazu kommen, daß Frauen (etwas plakativ gesagt) daran leiden, Frauen zu sein?


Ungerechtigkeiten gegenüber den Frauen in der westlichen Welt


Am Anfang der europäischen Kulturgeschichte war es nicht so. Die Werke Homers und Hesiods, die griechischen Mythen und der römische, auch der germanische Götterhimmel bezeugen, daß die Frau ihren selbstverständlichen Platz neben dem Mann einnahm. Sie hatte von jeher andere Aufgaben als der Mann, galt deshalb aber keineswegs als weniger wertvoll. Eine Minderbewertung der Frau war gerade den germanischen Völkern völlig fremd. Wie Tacitus berichtet, schenkten die Germanen ihren Frauen zur Hochzeit nicht etwa Schmuck oder Blumen, sondern Stiere, ein gezäumtes Pferd, dazu Schild, Lanze und Schwert.[1] Frauen ihrerseits brachten als Mitgift auch Waffen mit, - was nicht heißt, daß sie sich unbedingt an kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligten, wohl aber, daß sie mit den Männern die Verantwortung für Stamm und Besitz teilten (und im Notfall auch für ihre Männer einsprangen).

In orientalischen Kulturkreisen (etwa bis zur Grenze von Indien) dagegen herrschte (und herrscht bis heute) eine andere Mentalität. Hier wird die Frau - zumindest rein äußerlich betrachtet - eher klein gehalten. Das alte Israel, das von Gott auf besondere Weise geführt und unterrichtet wurde, bildete zunächst eine Ausnahme. Die Frau wurde im frühen Israel epochenweise sehr hoch geschätzt. Prophetinnen und Richterinnen traten auf und konnten sich Gehör verschaffen; Debora, Judith und Esther wurden sogar als Retterinnen des Volkes umjubelt. Der Theologe Peter Ketter sagt wohl mit Recht: "Die Stellung, die die Frau bei einem Volk einnimmt, ist der erste Gradmesser seiner Bildung."[2]

Doch zur Zeit Christi war auch Israel längst nicht mehr beispielhaft. Im Haus z.B. hatte die Frau ihren Platz nicht neben ihrem Mann, sondern neben den Kindern und Sklaven. Mehrfach ist uns ein Gebet überliefert, das die Juden täglich sprechen sollten: "Gepriesen sei Gott, der mich nicht als Heiden geschaffen hat! Gepriesen sei Gott, der mich nicht als Weib erschaffen hat! Gepriesen sei Gott, der mich nicht als Unwissenden erschaffen hat!" Das Studium der Thora (Gesetzbuch der Juden) war ein Vorrecht der Männer. Rabbi Eliezer, ein Zeitgenosse des Apostels Johannes, erklärte sogar: "Eher sollen die Worte der Thora verbrannt werden, als daß man sie einer Frau anvertraut."[3]

Demgegenüber wurde die Situation der Frau durch das Auftreten Jesu Christi radikal verändert. Jesus versöhnte die Menschen mit Gott und untereinander. Er bewies im Umgang mit Frauen große Freiheit gegenüber den starren Konventionen einer von Männern bestimmten Gesellschaft. Sein gesamtes Verhalten gegenüber den Frauen war einfach, spontan, unmittelbar - ein Widerschein der Güte Gottes, der jeden einzelnen Menschen "um seiner selbst willen" liebt.[4] Ganz anders als seine Umgebung akzeptierte Christus die Frau als ein dem Mann völlig gleichwertiges Geschöpf. Die Leute waren darüber erstaunt, betreten, sie nahmen Anstoß daran, und selbst die Jünger "wunderten sich".[5] Doch das alles kümmerte Christus nicht, der gekommen war, um die Menschen zu befreien. Christus erkannte die Frauen ganz selbstverständlich als Mitarbeiterinnen in seinem Erlösungswerk an: Er sprach mit ihnen über Themen, die man damals nicht mit Frauen zu erörtern pflegte, und erschloß ihnen die tiefsten Geheimnisse Gottes.[6] Die Frauen ihrerseits zeigten eine besondere Sensibilität für den Sohn Gottes. Sie waren von Anfang an seine treuen Begleiterinnen, ließen die neue Lehre in Kopf und Herz eindringen und antworteten mit einem Glauben, der sich über alle Hindernisse hinweg am Kreuz bewährte. Frauen durften auch als Erste Zeugen der Auferstehung werden. Die Ereignisse des Ostermorgens werfen noch einmal helles Licht auf die Tatsache, daß Christus seine göttlichen Wahrheiten zuerst ihnen anvertraut und so ihre Würde vollkommen wiederhergestellt hatte.[7]

Nach einer grundsätzlichen Aufwertung der Frau, die vor allem dem jungen Christentum zu verdanken war, nach mancherlei Rückfällen und neuen Auftrieben in den folgenden Jahrhunderten fühlen sich die Frauen aber gerade in der Neuzeit, gerade in Mitteleuropa, zunehmend diskriminiert. "Diskriminierung" (lat. discriminatio = Scheidung) besagt: Man wird aus der Lebensordnung einer bestimmten Gruppe "ausgegrenzt". Es bedeutet zum einen, daß Frauen im Vergleich zu Männern ungleiche Chancen in der Ausbildung und im Erwerbsleben haben, und zum anderen, daß gewisse Vorurteile gegen sie gerichtet sind, daß sie nach bestimmten Klischees beurteilt werden.

Das läßt sich in aller Deutlichkeit an einigen Aussagen der Aufklärer nachweisen. So etwa bemerkt Lessing (1729-81): "Ein Frauenzimmer, das denkt, ist ebenso ekelhaft wie ein Mann, der sich schminkt."[8] Selbst führende Denker wie Rousseau (1712-1778) und Kant (1724-1804), die mit ihren emanzipatorischen Ideen die moderne Staats- und Gesellschaftsauffassung prägten, erklärten die Frau für unmündig, unselbständig und nur auf den Mann hin zu erziehen. "Die Frau liebt im allgemeinen die Künste nicht, versteht sich auf keine einzige, und an Genie fehlt es ihr ganz und gar", meint Rousseau. Kants Aussagen dagegen scheinen zunächst hoffnungsvoller zu sein: "Das schöne Geschlecht hat ebensowohl Verstand als das männliche", sagt er, fährt dann aber fort: "nur ist es ein schöner Verstand, der unsrige soll ein tiefer Verstand sein."[9] Lessing, Rousseau und Kant (übrigens auch Nietzsche und Schopenhauer) mögen als Beispiele dienen für eine gewisse Denkrichtung, die sich in einigen Kreisen immer mehr verhärtet hat.

Es stellt sich noch einmal die Frage, wie es denn zu solch einer Minderbewertung der Frau kommen konnte, da doch sowohl das ursprünglich germanische (überhaupt das westliche) als auch das genuin christliche Denken in eine ganz andere Richtung gingen. Wie ist es möglich, daß sich innerhalb der europäischen Kultur, die vom Christentum entscheidend geprägt ist, ein Frauenbild entwickeln konnte, das das weibliche Geschlecht herabsetzt und entwürdigt? Es gab daneben unbestreitbar auch andere Bilder von der Frau, doch es ist nicht zu leugnen, daß eine gewisse "Frauenverachtung" von einigen einflußreichen Denkern propagiert und sogar wissenschaftlich zu untermauern versucht wurde.

Die Gründe hierfür sind vielfacher Art. Persönliche Grenzen und Schwächen, auch traurige Erfahrungen einzelner Menschen spielen sicherlich eine große Rolle. Ebenfalls ist zu bedenken, daß nicht alles, was heute als "Frauenverachtung" verunglimpft wird, dies auch tatsächlich war; eine gewisse unterschiedliche Behandlung der Geschlechter muß nicht notwendig eine Ungerechtigkeit bedeuten. (Man kann nicht mit dem heutigen Bewußtseinsstand, mit heutigen Vorstellungen und Einsichten eine andere Epoche beurteilen!) Darüber hinaus aber möchte ich auf eine These aufmerksam machen, die neuerdings diskutiert wird, und die eine Erklärung dafür bieten möchte, warum Frauen auch in Europa jahrhundertelang klein gehalten wurden.

Die Missionierung Europas geschah direkt oder (wie bei uns) zumindest indirekt durch die Völker des Orients. Das heißt, zusammen mit dem christlichen Glauben sind auch zahlreiche orientalische Denkmuster vermittelt worden, die von einigen Theologen übernommen wurden, als gehörten sie zur Offenbarung mit dazu. Bisweilen wurde das Alte Testament über das Neue gestellt; die dort geschilderten patriarchalischen Gesellschaftsordnungen und Verhaltensweisen wurden dann als verbindlich gesetzt. Eine echte Inkulturation des Evangeliums, um die man sich gerade in letzter Zeit bei den Völkern Afrikas und Asiens so sehr bemüht, fand in Europa noch nicht statt. (Inkulturation bedeutet, daß man den Völkern das Evangelium nicht einfach "überstülpt" und alles, was sie an eigener Kultur, an eigenen Werten haben, zerschlägt; sondern daß man sich bemüht, die jungen christlichen Gemeinden den neuen Glauben in ihrer spezifischen Situation und gemäß der ihnen eigenen Mentalität leben zu lassen. Dabei ist natürlich zu beachten, daß die Kernwahrheiten der Offenbarung sämtliche Kulturen transzendieren.)

Nach der hier vorgestellten These also sind die mangelhafte Inkulturation des Christentums und der sublime Einfluß orientalischer Lebensgewohnheiten in Europa dafür verantwortlich zu machen, daß sich eine Mißachtung der Frau immer mehr verfestigte. Hierzu möcht ich zweierlei anmerken. Zum einen: Es gab (und gibt) sicherlich eine Reihe von verächtlichen Urteilen über die Frauen. Diese Urteile sind auch bei verschiedenen Theologen nachweisbar - und zwar in allen christlichen Jahrhunderten. Man braucht nur zu suchen, dann wird man sie finden - und es ist in letzter Zeit viel gesucht worden! Doch es handelt sich hier trotz aller gegenteiligen Beteuerungen um eine Fehlentwicklung, die oft nur am Rande von Gesellschaft und Kirche existierte. Zu allen Zeiten gab es zahlreiche Vertreter des Christentums, die von der Würde der Frau überzeugt waren und diese wirkungsvoll verteidigten. Doch je mehr man sich vom genuin christlichen Gedankengut entfernte - sei es innerhalb, sei es außerhalb der Kirche (wie etwa im Falle der Aufklärer) - desto mehr verbreitete sich eine gewisse Minderbewertung der Frau. Die Gesellschaft wurde in dem Maße frauenfeindlich, in dem sie sich von der ursprünglichen Botschaft Christi (bewußt oder unbewußt) trennte.

Darüber hinaus halte ich jene These für eine interessante Theorie, die aber wohl nur in wenigen Fällen die historische Wirklichkeit trifft. Auch im alten Römerreich hatte die Frau kein Wahlrecht, auch bei den Germanen war sie unmittelbarer als der Mann mit der Pflege der kleinen Kinder beschäftigt. Spannungen, die sich später aus diesen Situationen ergeben haben, können - zumindest in Mittel- und Nordeuropa - nicht einfach auf den Einfluß orientalischer Völker zurückgeführt werden. Sie entstehen bei jedem Volk in dem Moment, in dem das Anderssein als Minderwertigkeit beurteilt und dann auch von den betroffenen Personengruppen so erfahren wird; und sie entstehen konkret dann, wenn man Frauen in einer völlig veränderten Lebenswelt nicht auch neue Aufgaben und Funktionen zugestehen möchte. Dies ist ein Problem der Neuzeit.


Die Frauenrechtsbewegungen


Man kann verstehen, daß es Frauen gab, die wegen der Mißachtung, die ihnen entgegengebracht wurde, erzürnt waren, protestierten und sich für das einsetzten, was sie immer klarer als ihre Rechte erkannten. Die Frauenrechtsbewegungen traten nachhaltig etwa seit 1789 auf, bezeichnenderweise gerade zur Zeit der Französischen Revolution. Sie sind eine Weiterführung der Forderung nach den Menschenrechten, die eben nicht nur für Männer gelten sollten.

Im September 1791 stellte Olympe Marie de Gouges den Bürgern ihre "Deklaration der Frauenrechte" vor, die der französischen Nationalversammlung zur Beschließung übergeben wurde. Hinter ihr standen viele in Frauenclubs organisierte Frauen. Sie definierten sich selbst als Menschen und Bürgerinnen und nannten ihre politischen und wirtschaftlichen Forderungen. Interessant ist beispielsweise der Artikel VII dieser Erklärung, in dem es heißt:
"Für Frauen gibt es keine Sonderrolle; sie werden verklagt, in Haft genommen und gehalten, wo immer es das Gesetz vorschreibt. Frauen unterstehen wie Männer den gleichen Strafgesetzen." Und Artikel X präzisiert noch: "Die Frau hat das Recht, das Schafott zu besteigen."[10] Die Frauen wollten nicht länger unmündig sein. Sie zogen es vor, bestraft und sogar getötet zu werden, als für unfrei und nicht verantwortlich zu gelten.

Tatsächlich wurde Olympe de Gouges hingerichtet, und mit ihr viele andere namhafte Frauen.[11] Die Frauenclubs wurden mit Gewalt aufgelöst, den Frauen das Versammeln bei Gefängnisstrafen verboten. Ihr Unternehmen schien zunächst gescheitert zu sein.

Doch die Frauen gaben nicht auf. In England engagierten sie sich in der sog. "Antisklavereibewegung" um die Mitte des vorigen Jahrhunderts. Sie gingen davon aus, daß ihnen ebenso wie den ehemaligen Sklaven das gleiche Wahl- und Bürgerrecht zustehe. In dem Philosophen und Ökonom John Stuart Mill (1806-1873) fanden sie einen brillanten Befürworter ihrer Ideen.

In Deutschland wurde die Frauenfrage vor allem zur Erziehungsfrage. Man erkannte immer mehr die Notwendigkeit, auch Mädchen auszubilden. Bildung ist ja nicht nur wichtig, um später in einem außerhäuslichen Beruf vorwärtszukommen, sondern auch, um die eigene Persönlichkeit voll zu entfalten. Wenn ein Mensch lernt, selbständig zu denken, lernt er auch immer mehr, innerlich frei und unabhängig von der öffentlichen Meinung und den Massenmedien zu sein; er wird geistig erwachsen und kann eher mit der eigenen Lebenssituation und mit persönlichen Stimmungen fertig werden.

Frauen wollten nicht länger besondere Betreuung und besondere Aufmerksamkeiten durch die Männer erfahren; sie erkannten ihr Recht auf eigene Bildung und Ausbildung. Theodor Gottlieb von Hippel (1741-1796), ein hoher Beamter und Schriftsteller aus dem Freundeskreis Kants, der sich für die öffentliche Gleichbehandlung der Frauen einsetzte, sagte während der damaligen Diskussionen: "Jemandem Güte erweisen, indem man ihm Gerechtigkeit entzieht, heißt: ein Naturgesetz mit Füßen treten."[12]

Doch noch 1883 erklärte ein offizieller Erlaß, daß Mädchen zum wissenschaflichen Studium nicht fähig seien: "Das Regelrechte ist, daß Mädchen heiraten und ihre Bildung in der Ehe gewinnen; doch auch Schwestern, Töchter, Pflegerinnen werden durch Brüder, Väter, Kranke und Greise zu etwas gemacht, wenn sie diese Männer mit warmem Herzen bedienen."[13]

Nichtsdestotrotz nahm die Frauenbewegung beständig zu. Es ist verständlich, daß sie immer polemischer wurde. Die Frauenrechtlerinnen erregten Aufsehen und Widerspruch; vielleicht übertrieben sie hier und da. Im Grunde aber setzten sie sich für etwas durchaus Legitimes ein: für die gleichen Rechte von Mann und Frau.

Hedwig Dohm (1833-1919), eine ihrer größten Vertreterinnen um die Jahrhundertwende, fragt sich, was wohl geschehen wäre, wenn Friedrich Schiller als "Friederike" zur Welt gekommen wäre.[14] Wahrscheinlich hätten die Talente sich nicht oder nur sehr mühsam entfalten können! Für Hedwig Dohm ist die Frage, ob Frauen studieren dürfen, können oder sollen, genauso müßig wie jene andere: "Darf der Mensch seine Kräfte entwickeln? Soll er seine Beine zum Gehen benutzen?"[15]

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schließlich wurden Frauen nach und nach in allen Ländern des europäischen Kontinents offiziell zum Abitur und zum Hochschulstudium zugelassen. In Italien erkämpfte Maria Montessori schon etwas früher das Medizinstudium für Frauen; sie erwarb dort als erste Frau 1896 den medizinischen Doktortitel.

Die politische und soziale Gleichberechtigung wurde weitgehend - zumindest dem Gesetz nach - in der westlichen Welt erreicht. Seit 1918 gibt es das Wahlrecht für Frauen in Deutschland, Österreich und England, allerdings erst seit 1945 in Spanien und seit 1971 in der Schweiz. Die Frauenrechtsbewegungen hatten somit in Europa ihre hauptsächlichen Ziele verwirklicht und lösten sich hier praktisch auf.


Der Feminismus


Trotz äußerer Erfolge jedoch bleibt zu fragen, ob unsere Gesellschaft tatsächlich auf dem Weg ist, die Würde der Frau genügend zu achten. Kino, Theater, Literatur und darstellende Kunst sprechen eine andere Sprache. Von den Massenmedien und Freizeitangeboten her droht der Frau heute eine Herabsetzung, die noch viel tiefer ist als jene andere, welche durch politische und soziale Ungerechtigkeiten geschah und geschieht. Oft wird dies von Frauen nicht genug durchschaut, sogar mitgetragen und letztlich erst möglich gemacht. Während man einerseits die Grundrechte laut proklamiert, versucht man andererseits, die Frau auf ein menschenunwürdiges Dasein einzuschränken und betrachtet sie häufig mehr als "Objekt" denn als selbständige Person. Doch immer wenn das Hauptinteresse nur einigen äußeren Vorzügen gilt, ist die vordergründige Aufwertung der Frau gepaart mit höchster Mißachtung.

Soziale Veränderungen können die Frauen nicht wirklich befreien, wenn sie nicht in einen geistigen Umschwung eingebettet sind. Dieser Umschwung aber ist noch nicht vollzogen. Er scheint durch hedonistische Grundhaltungen, die in weiten Teilen der Gesellschaft anzutreffen sind, auch nicht gerade erleichtert zu werden. Diese Grundhaltungen sind sicher nicht an ein Geschlecht gebunden; sie zeigen sich gleichermaßen bei Männern wie bei Frauen.

Doch ist es wohl unbestreitbar, daß sie - vielleicht als Reaktion auf allzu große Verletzungen - unter anderem auch in feministischen Übertreibungen ihren Ausdruck finden.
Der heutige Feminismus in seiner radikalen Form kann daher kaum als die legitime Fortsetzung der Frauenrechtsbewegung betrachtet werden. Er hat mit ihr nur noch wenig gemein. Denn im Grunde knüpft er nicht an die Problematik der Frauenrechtsbewegung an, die - wie selbst extreme Feministinnen zugeben - für uns hier und heute kaum noch existiert.[16]

Einem Teil der heutigen Feministinnen geht es nicht mehr lediglich um die rechtliche und soziale Gleichstellung der Frau, sondern um die Gleichartigkeit der Geschlechter. Sie fordern eine völlige Aufhebung der - wie sie es nennen - traditionellen Rollenteilung von Mann und Frau und lehnen vielfach die Mutterschaft, vor allem aber Ehe und Familie entschieden ab. Dabei stützen sie sich auf Simone de Beauvoir (1908-1986), die berühmte Lebensgefährtin Sartres. Diese wird mit Recht als die wegbereitende Feministin unseres Jahrhunderts betrachtet, deren Einfluß kaum zu überschätzen ist. Beauvoir warnt sogar vor der "Falle der Mutterschaft", die den Frauen ihre Freiheit und Aufstiegschancen nehme.[17] Denn wenn eine Frau ein Kind oder sogar mehrere Kinder hat, ist sie nicht mehr so unabhängig wie vorher. Jeder weiß, wieviel Arbeit ein Baby macht. Die Frau ist, wenn sie ein Kind hat, "gebunden" und kann im Berufsfeld nicht mit dem Mann konkurrieren. Sie wird folglich an ihrer Karriere gehindert. Daher, so fordern radikale Feministinnen, solle die Frau sich von den "Ketten ihrer Natur" lösen. Ihr Verhalten müsse auf der sog. "Neuen Ethik" basieren, und das heißt: Alles ist erlaubt, alles Herkömmliche wird grundsätzlich in Frage gestellt, auch die natürlichen zwischenmenschlichen Beziehungen, wie sie in Ehe und Familie zum Ausdruck kommen. Konkret äußert sich dies in der Verbreitung lesbischer Beziehungen,[18] in der Forderung nach freier Abtreibung,[19] nach der Übertragung der Kindererziehung auf die Gesellschaft und nach dem Ersatz der Schwangerschaft durch Retortenzüchtung.[20] Autonomie und Durchsetzungsvermögen gelten oft als die höchsten Werte. Das wird z.B. an der Umschreibung eines Spruches deutlich, der den Mädchen früher in das Poesiealbum gesetzt wurde. Früher hieß es (recht kitschig):

"Sei wie das Veilchen im Moose,
sittsam, bescheiden und rein,
und nicht wie die stolze Rose,
die immer bewundert will sein."

Es ist interessant und hmrvoll, heute folgende Aufforderung in den Frauenzeitschriften zu finden:

"Seid wie die stolze Rose
selbstbewußt, kritisch und frei,
und nicht wie das Veilchen im
Moose, bescheiden, verschüchtert
und treu."[21]

Der heutige Feminismus ist in gewisser Weise ein Produkt der europäischen Studentenrevolutionen von 1968. Innerhalb dieser Bewegungen fühlten sich einige Studentinnen von ihren männlichen Kollegen unterdrückt, lösten sich von ihnen und gründeten sog. "Weiberräte" an den Universitäten. Nach dem Vorbild dieser "Weiberräte" wurden in vielen Städten des deutschsprachigen Raumes (mit Ausnahme der damaligen DDR) "autonome Frauengruppen" gegründet. Sie alle verlangen "Selbstverwirklichung für die Frau", und das bedeutet für sie: Abschaffung des Abtreibungsparagraphen und Befreiung von jeglicher Abhängigkeit von Mann und Kind. Der Begriff "Feminismus", so wie wir ihn heute gebrauchen, meint tatsächlich häufig eine Lösung der Frau von den "Fesseln der Natur". Er existiert in diesem Sinne übrigens erst seit 1980 im "Duden", dem offiziellen deutschen Wörterbuch. Das zeigt, wie jung diese Bewegung ist, aber mit welcher Wucht sie sich ausgebreitet hat und immer mehr ausbreitet.

Waren die gemäßigten Frauenbewegungen bemüht, den Frauen anerkannte Freiräume zu verschaffen, in denen sie das entwickeln konnten, was ihrem Wesen und ihren Begabungen entsprach, so geht es dem radikalen Feminismus darum, das von der Natur Vorgegebene eigenwillig zu "korrigieren" und zu verfälschen. Das Konzept ist revolutionär, die Ziele sind radikal. Der extreme Zweig des Feminismus intendiert eine völlige Änderung des Menschen und der herkömmlichen Gesellschaftsordnung. Daher ist er öfter sogar als Höhepunkt der neuzeitlichen antichristlichen Revolutionen bezeichnet worden. Marcuse, einer der bedeutendsten sozialistischen Philosophen in Deutschland, nennt den Feminismus mit Recht "die vielleicht wichtigste und potentiell radikalste Bewegung, die wir haben."[22]



Insgesamt führt uns die Bestandsaufnahme zu zwei Ergebnissen. Erstens sind Ungerechtigkeiten gegenüber Frauen in der Menschheitsgeschichte immer wieder aufgetreten. Es fällt nicht schwer, Fakten und Zitate zusammenzutragen, die beweisen, wie oft Frauen gedemütigt, mißbraucht und verspottet wurden. Zweitens sind die Bestrebungen, diese Mißstände zu lösen, mit oft unterschiedlichsten Zielen verfolgt worden, wie an dem Gegensatz von gemäßigter Frauenbewegung und radikalem Feminismus zu sehen ist. Nun stellt sich erneut die Frage nach dem richtigen Verständnis von Mann und Frau und ihrem Verhältnis zueinander. Und es ist zu vermuten, daß der christliche Glaube viel hierzu sagen kann - gerade wenn man bedenkt, in welch hohem Maße Christus selbst die Frau aufgewertet hat.

Im folgenden soll daher geprüft werden, welche Hinweise wir dem Glauben zu Würde und Stellung der Frau in der modernen Gesellschaft entnehmen können.


Gleich in Verschiedenheit


Zunächst sind Mann und Frau natürlich in ihrem Menschsein gleich. Dies gilt als notwendige Voraussetzung für alles weitere Reden über die Geschlechter.

Im Schöpfungsbericht der Genesis (1,27) heißt es unmißverständlich, daß Gott den Menschen - Mann und Frau - nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen hat. Dies besagt: Beide Geschlechter sind gemeinsames Bild des Ursprungs; beider Würde ist in Gott begründet. Beide haben denselben Wesensgrund, sind vernunftbegabt und frei; beide haben die Gestaltung der Erde als gemeinsamen Auftrag erhalten, und beide besitzen eine letzte Unmittelbarkeit zu Gott allein. Sowohl der Mann als auch die Frau sind, christlich gesprochen, von Gott um ihrer selbst willen geliebt, und gerade darin besteht ihre Würde. (Der Doppelauftrag, über die Welt zu herrschen und fruchtbar zu sein, ist an beide gerichtet, - nicht der erste Teil an Adam, der zweite an Eva.)

Darüber hinaus betont die Genesis, daß Mann und Frau dazu bestimmt sind, "füreinander" dazusein.[23] Bei der "Hilfe", von der an anderer Stelle (2,18-25) die Rede ist, handelt es sich natürlich um eine gegenseitige: Der Mann ist eine Hilfe für die Frau, und diese ist eine Hilfe für den Mann. Beide können sich zu einem glücklichen Leben "verhelfen", in bestimmter Weise also ergänzen. Denn ihr Menschsein ist - bei völlig gleichem Rang und gleicher Würde - auf verschiedene Art ausgeprägt. Der Schöpfungsbericht bezeugt, daß die geschlechtliche Differenz von Anfang an existiert. Sie ist nicht unwesentlich oder nachträglich, nicht nur Ausdruck gesellschaftlicher Prägung, sondern stammt von der Absicht des Schöpfers selbst, von dem göttlichen Willen zum Mann und zur Frau. Die Geschlechtlichkeit ist folglich nicht eine bloße Bedingung, die auch fehlen könnte, und sie ist auch nicht irgendeine Wirklichkeit, die nur auf den leiblichen Bereich zu begrenzen wäre. Mann und Frau ergänzen sich in ihrer je spezifischen leiblich-seelisch-geistigen Natur. Beide besitzen Wertqualitäten, die ihnen eigen sind, und jeder ist dem anderen in seinem Bereich überlegen, was tatsächlich durch die psychologischen und medizinischen Forschungen immer wieder bestätigt wird.[24]

Die höchst konkrete, anschauliche und fühlbare Andersheit von Mann und Frau muß weder nivelliert noch geleugnet werden. Der Sinn für Unterschiede ist nach Jörg Splett sogar ein "Gradmesser für die Kultiviertheit des Menschen überhaupt". Splett erwähnt in diesem Zusammenhang "ein altes chinesisches Sprichwort, das sagt, die Weisheit beginne damit, dem anderen sein Anderssein zu vergeben."[25] Nicht ununterschiedene Harmonie, sondern eine gesunde Spannung zwischen den je anderen Polen macht das Leben interessant und reich.

Natürlich gibt es nicht "den" Mann oder "die" Frau, wohl aber Unterschiede in der Verteilung bestimmter Fähigkeiten. Wenn auch kein einziges psychologisches oder geistiges Merkmal festgestellt werden kann, das ausschließlich einem Geschlecht zukommt, so gibt es doch Eigenschaften, die besonders häufig und besonders ausgeprägt bei Männern auftreten, und andere, die besonders Frauen betreffen. Diese zu benennen, ist eine höchst schwierige Aufgabe. Ich habe mir manchmal die Frage gestellt, ob es überhaupt möglich ist, eines Tages mit wissenschaftlicher Genauigkeit zu sagen, etwas sei "typisch männlich" oder "typisch weiblich", da die beiden großen Formgeber, Natur und Kultur, aufs engste ineinander verwoben sind. Doch die Tatsache, daß Männer und Frauen auf verschiedene Art die Welt erleben, Aufgaben bewältigen, fühlen, planen und reagieren, ist für jeden Menschen wohl auch ohne Wissenschaft spürbar und erkennbar.

Von den vielen Beispielen, die immer wieder angeführt werden, möchte ich nur eines nennen. Schon im Säuglingsalter beobachten Forscher immer wieder bei Mädchen ein stärkeres soziales Interesse als bei Jungen. Nach bekannten Untersuchungen reagieren männliche Säuglinge in den ersten Wochen deutlicher auf optische Reize, während weibliche Säuglinge sich mehr für Stimmen und Berührungen interessieren. Dies, so schließen Psychologen, sind erste Auswirkungen der seit langem bekannten Tatsache, daß bei Männern das räumliche Vorstellungsvermögen besonders ausgeprägt ist, bei Frauen hingegen zwischenmenschliche Kontakte vorrangig sind.[26]


Das Spezifische der Frau


Nach der statistischen Verteilung treten einige Begabungen häufiger bei Männern, andere eher bei Frauen auf. Doch sagt dies natürlich gar nichts über den einzelnen Mann oder die einzelne Frau. Wenn auch einige Eigenschaften besonders häufig bei Männern zu finden sind, so können sie im konkreten Fall natürlich bei einzelnen Frauen viel ausgeprägter sein, und umgekehrt. Denn jeder Mensch hat seine individuelle Eigenart und Anlage, und in dieser Anlage hat er die Befähigung zu künstlerischen, technischen, wissenschaftlichen, sozialen oder praktischen Tätigkeiten. Beide Geschlechter sind grundsätzlich zu jeder körperlichen und geistigen Tätigkeit imstande, wenn auch einige den Frauen, andere den Männern im allgemeinen leichter fallen. Denn die geistigen Fähigkeiten - Intuition und Personbezogenheit auf der einen Seite, Objektivität und Universalität des Denkens und Planens auf der anderen - sind nicht je und je exklusiv auf Frau oder Mann verteilt. Sie sind ihnen nicht zuzuordnen in der Weise des Entweder-Oder, sondern des stärkeren Tendierens innerhalb einer gemeinsamen geistigen Ausstattung.

Man täte also Unrecht, wollte man gemäß der differentiellen Verteilung ein "Frauenbild" aufbauen, das dann ganz in der Linie der alten Klischees etwa lauten würde: Der Mann ist rational, aktiv, dominierend; die Frau ist sentimental, passiv, hingegeben. Auch die Frau beherrscht die komplizierteste Technik, und auch der Mann ist dazu bestimmt, sich in der Erziehung von Kindern zu verwirklichen, welche keine spezifisch weibliche Angelegenheit, sondern Sache der Liebe ist.

Gleiche geistige Fähigkeiten von Mann und Frau rechtfertigen den Anspruch der Frau auf öffentliche Verantwortung. Von seiten des Mannes wird hier ein echtes Annehmen-Können der Leistungen der Frau verlangt. Diese schmälern nicht seinen eigenen Wert, sondern heben den Wert des Menschseins. Besondere weibliche Züge, wie etwa der Wunsch zu vermitteln und Gegensätze auszugleichen, Einfühlungsvermögen und Taktgefühl, können zu jener Humanisierung der Arbeitswelt wirksam beitragen, die in unserer Zeit so dringend gefordert wird (und auch schon zu einem Schlagwort geworden ist).

Das Besondere von Frau und Mann ist sicher nicht in ihren je eigenen Talenten zu sehen. Das ihnen je Spezifische ist wohl am ehesten zu fassen in der Gabe zur Mutter- oder Vaterschaft. Nur der Mann kann Vater, nur die Frau kann Mutter sein. Doch auch wenn Mann und Frau gemeinsam beteiligt sind, wenn ein neues Leben entsteht, engagiert sich die Frau in der Elternschaft wesentlich mehr als der Mann. Dies kommt besonders im vorgeburtlichen Stadium zum Ausdruck, in dem eine Reihe der körperlichen und seelischen Energien der Frau von dem noch winzigen Kind absorbiert wird. Der Mann, obgleich er Vater ist, befindet sich immer "außerhalb" des Prozesses der Schwangerschaft und der Geburt und kann nur durch seine Frau daran teilhaben. Er trägt zur gemeinsamen Elternschaft zunächst viel weniger bei als die Frau; daher muß er sich bewußt sein, daß er seiner Frau gegenüber besondere Verpflichtungen hat. Papst Johannes Paul II. sagt sogar (in einem beachtenswerten Schreiben über die Würde der Frau), daß der Mann unter diesem Aspekt der "Schuldner" der Frau sei.[27] Es geht darum, daß er sich seiner Frau gegenüber solidarisch zeigt, daß eine wirkliche Partnerschaft aufgebaut wird - und das bedeutet für die Eheleute: Vertrauen und lebendige Beziehung, Interesse aneinander und gemeinsames Lösen aller auftretenden Probleme in gemeinsamer Verantwortung.

Darüber hinaus ist die Mutterschaft aber nicht nur ein physiologischer Prozeß. Sie ist vielmehr eine Wirklichkeit, die das gesamte Sein und Verhalten der Frau von Grund auf erfaßt und auch der psychisch-physischen Struktur der Fraulichkeit entspricht. Durch die Mutterschaft hat die Frau eine sehr innerliche Verbindung mit dem Geheimnis des Lebens, das in ihrem Schoß reift. Dieser einzigartige Kontakt mit dem neuen Menschen schafft gleichzeitig eine Haltung gegenüber allen Menschen, die die Persönlichkeit der Frau zutiefst prägt. Allgemein drückt sich dies in ihrer natürlichen Neigung aus, in die interpersonalen Beziehungen das Konkret-Menschliche einzubringen.

Das bedeutet: Die Frau hat eine besondere Begabung, in der Masse den einzelnen zu erblicken und zu fördern. Sie hat besonderen Sinn für das Konkrete. Gott hat ihr "in einer besonderen Weise den Menschen anvertraut."[28] (Das sagt Johannes Paul II. in dem schon erwähnten Schreiben über die Würde der Frau.)

Das Leben besteht ja nicht nur im Planen großartiger Projekte, sondern unaufhörlich in tausend Kleinigkeiten, ohne deren Bewältigung man oft auch nichts Großes leisten kann. Mancher Mensch käme sich in der Welt verloren vor, hätte er an seiner Seite nicht jemanden, der ihm hilft, sich in der "großen" Wirklichkeit zurechtzufinden. Die Frau hat nun eine besondere Begabung, das konkrete Leben zur Entfaltung zu bringen; und hier wird ihre besondere Berufung offenbar: Daß die Individualität nicht zugrunde geht im Allgemeinen, daß der gestreßte Mensch sich in einer Welt "kalter" Mechanismen und Apparaturen noch wohl fühlen kann, dies ist vor allem Auftrag und Leistung der Frau.

Natürlich ist keineswegs bewiesen, daß Frauen "automatisch" eine menschlichere Welt gestalten als Männer. Diese Welt kann sich letztlich nur ändern, wenn beide Geschlechter eine neue Kultur fördern, in welcher "Liebe", "Hingabe" und "Füreinander-Dasein" von neuem verstanden und gelebt werden,[29] die aber durch den Einsatz der Frau wesentlich bereichert werden kann.[30] Sicher hat sich auch der Mann um Menschlichkeit zu bemühen. Da er von Natur her aber eine größere Distanz zum Leben hat, kann er hier von der Frau viel lernen. Dies gilt vor allem auch für seine Vaterschaft und betrifft in besonderem Maße die Zeit nach der Geburt.[31]


Schlußbemerkung


Aus dem Gesagten ergibt sich zweierlei für die "Frauenfrage":

1. Gleicher Rang und Ebenbürtigkeit der Geschlechter sind unbedingt zu verteidigen. Jeder, dem die Gerechtigkeit in der Welt ein Anliegen ist, muß sich klar und eindeutig auf die Seite derjenigen stellen, die sich für die legitimen Rechte der Frauen einsetzen: für eine adäquate Ausbildung, für politische und soziale Gleichberechtigung, für Arbeit unter menschenwürdigen Bedingungen. Dies ist zwar in der westlichen Welt weitgehend erreicht, aber in den Ländern der dritten Welt noch lange nicht. Und auch da, wo die Frau offiziell gleichberechtigt ist, bleibt noch viel zu tun, um Stereotype und Vorurteile auszurotten.

2. Bei aller Befürwortung und Unterstützung der Frauenrechtsbewegungen ist dem radikalen Feminismus dagegen eine Absage zu erteilen. Auch wenn er vorgibt, die Frau zu fördern, so zerstört er sie in Wahrheit zutiefst. Denn Einheit und Gleichwertigkeit von Mann und Frau heben die Verschiedenheit nicht auf. Natürlich sind die weiblichen (wie die männlichen) Eigenschaften bis zu einem gewissen Grad wandelbar, können aber nicht vollends übergangen werden. "Es gibt da einen Rest von Determiniertheit..., der sich nicht mehr ohne Krampf und Selbstverleugnung aufheben läßt."[32] Weder eine Frau noch ein Mann kann gegen die eigene Natur angehen, ohne unglücklich zu werden. Der Feminismus gibt daher eine falsche Antwort auf erlittenes Unrecht; statt die Kränkungen und Verwundungen zu heilen, scheint er diese viel eher noch zu vertiefen.

Die feministische Theologie schließlich - radikal betrieben - zerstört die Fundamente des Glaubens selbst, mag sie auch einige berechtigte Anliegen haben. Denn auch wenn Gott jenseits der Geschlechter ist, so hat er sich uns doch als Vater offenbart. Friedebert Hohmeier, ein evangelischer Theologe, bemerkt treffend: "Wenn unser menschlicher Name ein Ausdruck unserer einmaligen Person ist..., mit welchem Recht dürfen wir uns dem heiligen Gott gegenüber eine Änderung eines seiner Namen erlauben, gar noch in der Meinung, Gottes Wesen damit besser zu erfassen, als er sich in seinem Namen geoffenbart hat?"[33]

Zum Schluß noch eine Bemerkung: Ich habe Frauenrechtsbewegungen und Feminismus aus Gründen der Klarheit und Übersicht getrennt, um deutlich zu machen, daß sie in einem jeweils verschiedenen Welt- und Menschenbild gründen: Frauenrechtliche Forderungen sind mit einem christlichen Selbstverständnis vereinbar; mehr noch, sie sind vom Christentum her zu legitimieren. Denn als Gott den Menschen als Mann und Frau schuf, gab er beiden dieselbe Freiheit und dieselbe Würde, und er bestimmte beide gemeinsam dazu, über die sichtbare Natur zu herrschen. Leider kam es zum Bruch zwischen Mensch und Gott, als Folge auch zu Störungen in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Die dann anzutreffende Unterdrückung der Frau zeigt eine falsche Entwicklung in der Gesellschaft, die unbedingt zu korrigieren ist. Sie muß mit allen Kräften bekämpft werden, wozu der aktuelle Papst ja auch seinen mutmachenden Segen gibt. Feministische Forderungen dagegen betrachten den Menschen nicht als Werk Gottes, eher als Zufallsprodukt oder Selbstentwurf. Sie gründen im atheistischen Existentialismus, den Simone de Beauvoir auf das weibliche Dasein übertragen hat, und sind vor allem von marxistischen und neomarxistischen Gruppen auf der ganzen Welt propagiert worden. Der Mensch, so wird von diesen Gruppen betont, sieht sich in bestimmte soziokulturelle und ökonomische Gegebenheiten gestellt, wenn er ins Leben tritt; er kann (und muß) Stellung dazu beziehen, sein Ich im Rahmen der ihn umgrenzenden Möglichkeiten entfalten und sich schließlich zu dem machen, was er will. Dabei ist er niemandem verpflichtet als sich selbst. Er kennt keinen Schöpfergott, keinen transzendenten Sinn, kein Fortleben nach dem Tod. Das Dasein auf dieser Erde kann aus dieser Perspektive natürlich nicht heiter-gelassen angenommen werden. Es wird zum zwanghaften und schließlich verzweifelten Versuch, sich durchzusetzen, zu behaupten - zu "verwirklichen". Dabei ist selbstverständlich "alles erlaubt", was der Realisierung eigener Pläne und Ideen, was der Befriedigung unmittelbarer Bedürfnisse dient - wer sollte es denn verbieten?

Das Schwierige ist nun, daß man diese beiden kurz dargestellten Richtungen, die im Grunde entgegengesetzt sind, fast überall gemeinsam antrifft. Schon in der Frauenrechtsbewegung waren radikal-feministisch eingestellte Frauen. Und auch heute gibt es zahlreiche Frauen, die überall in der Welt für eine gerechte Anerkennung ihrer Würde eintreten, die für Gleichberechtigung in allen gesellschaftlichen Bereichen verdienstvoll kämpfen, ohne sich radikal-feministischer Parolen zu bedienen. Doch in fast jeder Debatte, in fast jedem Thesenpapier oder Programm mischen sich die so notwendigen Forderungen nach Menschenrechten für die Frau mit radikalfeministischen Gedanken. Unterschiedliche, selbst gegensätzliche Ansprüche gehen quer durch so manches menschliche Herz, quer durch Gruppierungen und Parteien - sogar quer durch die Theologie - hindurch. In jedem einzelnen Fall wird daher klar zu unterscheiden sein, was an den Forderungen legitim und was aus einer christlichen Weltsicht heraus nicht zu verantworten ist.

Als Ergebnis ließe sich festhalten: Emanzipation auf jeden Fall - von Vorurteilen und Klischees, von hemmenden Traditionen und zu eng gewordenen Lebensformen, aber nicht von ethischen Werten und zwischenmenschlichen Bindungen - und auch nicht von den Quellen der Offenbarung. Es kann bei der "Selbstbefreiung" der Frau nicht um ein billiges Angleichen an den Mann gehen. Etwas viel Teureres, Lohnenderes, aber auch Schwierigeres muß angestrebt werden: die Selbstannahme der Frau in ihrem Anderssein, in ihrem Einmaligsein als Frau. "Ziel der Emanzipation ist es, sich der Manipulation zu entziehen, nicht Produkt zu werden, sondern Original zu sein", sagt Bischof Kamphaus.[34] Gerade im Widerstand gegen die allgemeinen Trends bewährt sich die eigene Freiheit. Wahre Förderung der Frau befreit nicht "von" den Eigenarten, sondern "zu ihnen hin". Sie beinhaltet daher auch die Wieder-Aufwertung von Mutterschaft, Ehe und Familie. Wenn man gegen den sozialen Zwang von früher kämpft, der Frauen aus vielen Berufen ausschloß, warum scheut man sich dann so, auch gegen den heutigen - viel subtileren - Druck vorzugehen, der Frauen vorgaukelt, nur außerhalb der Familie fänden sie Erfüllung?

Heute wird vielen Frauen von neuem klar, daß man nicht außerhalb der Basis der eigenen Natur frei werden kann, daß das Geschlecht, mehr als Privileg oder Diskriminierung, immer auch eine Chance zur Selbstentfaltung bedeutet. Folglich setzen sie sich dafür ein, daß die Förderung der Frau nicht im außerhäuslichen Bereich allein betrieben wird. Die berufstätige Frau darf - bei aller Anerkennung ihrer berechtigten Anliegen - nicht zum einzigen Ideal weiblicher Selbständigkeit erklärt werden; sonst entsteht ein sozialer Zwang, der sowohl den Frauen als auch den Männern und nicht zuletzt der Familie schadet.

Dabei liegt in der Familie nach wie vor eine der wichtigsten Aufgaben der Frau. Der spezifische Beitrag, der hier geleistet wird, muß selbstverständlich in der Gesetzgebung voll berücksichtigt und endlich auch in finanzieller und sozialpolitischer Hinsicht gebührend honoriert werden.[35] An dieser Gesetzgebung mitzuwirken, sollte weltweit nicht nur als Recht, sondern auch als Pflicht der Frau betrachtet werden.

Die beste Voraussetzung für ein harmonisches Zusammenleben der Geschlechter scheint ein christliches Selbstverständnis des Menschen (der Frau wie des Mannes) zu sein. Wie die Sünde das Band zwischen den Geschlechtern zerschnitten hat, so vermag die Gnade eine neue Harmonie zwischen ihnen zu schaffen. Ihre Beziehung wird daher umso schöner sein, je größer ihre Gottesnähe ist. Als Christen wollen Mann und Frau nicht unabhängig, aber selbständig sein; sie können sich gegenseitig anerkennen und Freude aneinander haben. Und schließlich vermögen beide gleichberechtigt zusammenzuleben, in gemeinsamer Verantwortung für die Zukunft unserer Welt.

Je christlicher diese Welt ist, desto menschlicher wird sie auch sein, und desto mehr wird man in ihr auf die Würde und Freiheit jedes einzelnen Menschen achten.


Jutta Burggraf

[1] Vgl. Tacitus: Germania, XVIII und XIX.
[2] Peter Ketter: Christus und die Frauen, Bd. I, 4. Aufl. Stuttgart 1948, S. 4 f.
[3] Vgl. Georg Siegmund: Die Stellung der Frau in der Welt von heute, Stein am Rhein 1981, S. 54
[4] Vgl. Johannes Paul II.: Apostolisches Schreiben Mulieris dignitatem, 15.August 1985, Nr.13
[5] Joh 4,27
[6] Vgl. Joh 4,7-26
[7] Vgl. ebd., Nr.16
[8] Zitiert bei Gabriele Pechel-Hoffmann: Der Kampf der Frauen um das Studium, in: Die christliche Frau, Heft 5/1987, S. 7
[9] Zitiert bei Joachim Hofmann-Göttig: Frauen raus aus den Separées, in: Informationen für die Frau, 37. Jg., Folge 6, Juni 1988, S. 7
[10] zitiert bei Hannelore Schröder (Hrsg.): Die Frau ist frei geboren. Texte zur Frauenemanzipation, Bd. I, München 1979, S. 38.
[11] Olympe de Gouges wurde offiziell nach Artikel I des Gesetzes vom 29.3.1792 umgebracht: "Wer auch immer Schriften verfaßt oder gedruckt hat, die auf die Zersetzung der Volksvertretung, auf die Wiederherstellung des Königtums oder irgendeiner anderen Macht abzielen, die gegen die Souveränität des Volkes gerichtet ist, sei mit dem Tode bestraft." Zeitgenössische Kommentare machen deutlich, daß man die Verurteilung in weiten Kreisen als einen Willkürakt Robespierres betrachtete, der die Emanzipationsbewegung der Frauen zu unterdrücken strebte. Vgl. Olympe de Gouges: Oeuvres. Présentées par Benoíte Groult, Paris 1986, S.56 ff.
[12] Theodor Gottlieb von Hippel: Über die bürgerliche Verbesserung des Weibes, 1792, in: Hannelore Schröder (Hrsg.): Die Frau ist frei geboren, München 1979, S. 38.
[13] zitiert bei Roswitha Wisniewski: a.a.O., S.3.
[14] Vgl. Hedwig Dohm: a.a.O., S. 42.
[15] Ebd., S. 60.
[16] Vgl. Elisabeth Desai: Kinder? Höchstens 1! Hamburg 1985, S. 20.
[17] Simone de Beauvoir: Interview von Alice Schwarzer, in: Der Spiegel 15 (1976), S. 195; vgl. auch Simone de Beauvoir: "Alles in allem, Reinbek 1974, S. 450.
[18] Vgl. dies. in ihrem Hauptwerk "Le Deuxième Sexe" (Paris 1949), deutsch "Das andere Geschlecht" (Hamburg 1951), das oft als Bibel der Frauenbewegung bezeichnet wurde, S. 409 ff.
[19] Vgl. ebd., S. 504: "Es gibt nichts Absurderes als die Gründe, die gegen die Legalisierung der Abtreibung herangezogen werden." Auch S. 697; dies., Alles in allem, Reinbek 1974, S. 450.
[20] Vgl. dies.: Das andere Geschlecht, S. 697.
[21] Anke Martiny: Poesie-Album, in: Informationen für die Frau, 27. Jg., Folge 9, 1988, S. 13.
[22] Herbert Marcuse: Marxismus und Feminismus, in: Jahrbuch Politik 6, Berlin 1974, S. 86.
[23] Vgl. Johannes Paul II.: Mulieris Dignitatem, Nr. 7.
[24] Vgl. etwa Beatrice Flad-Schnorrenberg: Der wahre Unterschied, Freiburg 1978; Ferdinand Merz: Geschlechtsunterschiede und ihre Entwicklung, Lehrbuch der differentiellen Psychologie, Bd. III, Göttingen 1979.
[25] Jörg Splett: Der Mensch. Mann und Frau, Frankfurt 1980, S.18.
[26] Vgl. Michaela Freifrau Heereman: Über den Einfluß des Zeitgeistes auf das Selbstverständnis der Frau, in: Lebendiges Zeugnis, 41. Jg., Nr. 3, Oktober 1986, S. 34.
[27] Vgl. Johannes Paul II.: Mulieris dignitatem, Nr. 18.
[28] Ebd., Nr. 30.
[29] Vgl. ebd., Nr. 18.
[30] Vgl. ebd., Nr. 30.
[31] Vgl. ebd., Nr. 18.
[32] Barbara Sichtermann: Wer ist wie? Berlin 1987, S. 27.
[33] Friedebert Hohmeier: Der theologische Feminismus im Spiegel seines Bibelgebrauchs, in: Peter Beyerhaus (Hrsg.): Frauen im theologischen Aufstand, a.a.O., S.103
[34] Franz Kamphaus: Mutter Kirche und ihre Töchter, Freiburg-Basel-Wien 1989, S. 32.
[35] Vgl. Johannes Paul II.: Enzyklika Laborem exercens, 14. Sept. 1981, Nr. 19.